Interview mit Florian Kessel
„Wir fahren heute ja auch keine Kutschen mehr“
Florian Kessel ist Ausbildungskoordinator bei Procar Automobile, einem der größten BMW und MINI Vertragshändler Deutschlands. Dort kümmert er sich um aktuell 153 angehende KFZ-Mechatronikerinnen und Mechatroni-ker in 21 Werkstätten. Ein Gespräch über Digitalisierung, Berufsklischees und die die Zukunft der Elektromobilität.
Herr Kessel, bei der Digitalisierung sind Sie ganz vorne mit dabei. Wie sieht die digitale Ausbildung bei Ihnen aus?
F. Kessel: Die Azubis lernen meist nur noch mit dem Handy, auch das Berichts-heft führen sie digital. Ich bin ein Freund von papierlos – wer sagt, dass man fürs Lernen zuhause sitzen muss? Von diesem starren System müssen wir weg. Heut-zutage kann sich jeder auch unterwegs mit dem Handy lernen. Oder Stichwort er-lebnisorientiertes Lernen: Im Sommer haben wir Workshops mit VR-Brillen veran-staltet – die Azubis durften einen Motor auseinander- und wieder zusammenbau-en.
Bildschirme, VR-Brillen: Das passt ja gar nicht zum Klischeebild vom ölver-schmierten Automechaniker, der sich die Finger schmutzig macht.
F. Kessel: Ich bin überzeugt, dass wir in 15-20 Jahren KFZ-Mechatroniker haben, die im Homeoffice arbeiten. Bei Tesla arbeiten Diagnose-Techniker ja bereits von zuhause aus. Da wird sich noch irre viel tun. Heute kann niemand mehr einen Öl-wechsel ohne Computer durchführen. Ich habe den Eindruck, dass bei vielen noch nicht angekommen ist, wie viel sich in der Werkstatt bereits verändert hat.
Inwiefern?
F. Kessel: Manche haben immer noch dieses Klischeebild von einem „Männerbe-ruf“ im Kopf und entscheiden sich aus falschen Vorstellungen dafür. Das gilt übri-gens eher für die Männer, bei Frauen ist es meiner Erfahrung nach anders. Wenn eine junge Frau sich für den Job entscheidet, ist es meist sehr gut überlegt. Bei uns machen deswegen alle vorher ein mehrtägiges Praktikum. So können wir die Bewerber in der Praxis kennenlernen – und sie erleben den Werkstattalltag. Das ist mindestens genauso wichtig, um Ausbildungsabbrüchen vorzubeugen.
Haben sich die Anforderungen an die Azubis stark geändert?
F. Kessel: Auf jeden Fall. Schulnoten spielen zum Beispiel keine so große Rolle mehr, relevanter sind für uns die Haltung und Einstellung. Ich war, weiß Gott, kein guter Schüler – aber in der Ausbildung auf einmal Klassenbester. Das hat mich einfach total interessiert. Es kommt viel auf das Mindset an: die Motivation, die Einstellung, die Soft Skills. Ein grundtechnisches Verständnis natürlich auch. Das alles wiegt mehr, als eine Vier in Mathe oder Physik.
Elektromobilität, autonomes Fahren, High-Tech: Die Autoindustrie verän-dert sich immer schneller. Wie schwierig ist es, als Ausbilder, mit der Zeit zu gehen?
F. Kessel: Uns ist bewusst: Keine Veränderung ohne Widerstand. Wenn ein neues System eingeführt wird, brauchen wir ein bisschen, bis wir darin firm sind. Das ist normal. Unsere Mitarbeiter besuchen regelmäßig Schulungen und Seminare – auf-grund der Pandemie waren wir zwar etwas gebremst, aber langsam wird es wie-der mehr. Ich mag Veränderungen. Nun lernen wir eben mit Electude. Wir fahren heute ja auch keine Kutschen mehr.
Seit wann nutzen Sie Electude?
F. Kessel: Wir haben Ende 2019 angefangen – das war ein Glücksgriff, umso mehr natürlich im Hinblick auf die Pandemie. Ich hatte nach Möglichkeiten gesucht, das Berichtsheft digital zu führen und habe Electude gefunden. Dann merkte ich, wie viel mehr das Programm bietet. Als die Berufsschulen im Lockdown waren und Schwierigkeiten hatten, sich zu organisieren, kamen die Azubis eben in den Be-trieb und haben mit Electude zusätzlich digitalen Unterricht gemacht – schnell und effizient.
Wie arbeiten die Azubis in Electude?
F. Kessel: Einmal im Monat stelle ich Aufgaben online, es gibt Selbsttests und außerdem sind alle Inhalte da, die die Azubis brauchen, um etwas nachzuschla-gen oder für die Prüfungen zu lernen. In Electude können sie Messungen durch-führen, selbst etwas anschließen, bekommen vorgeführt, wie die Dinge funktionie-ren, die in der Werkstatt selten gemacht werden. Alles ist kurz und knapp gehal-ten, kommt schnell auf den Punkt, ist gut strukturiert von einfach bis schwer – das gefällt mir. Aber ich nutze Electude zum Beispiel auch für unsere After-Sales-Tage: Da durchlaufen Azubis die anderen Bereiche des Autohauses, erhalten Ein-blicke im Service oder im Ersatzteillager und bekommen auch kaufmännische In-halte vermittelt. Electude nutze ich auch hier für die individuelle Lernkontrolle.
Welche Vorteile gibt es noch?
F. Kessel: Der Riesenvorteil: Ein digitales Medium wird nicht alt. In Fachbüchern finden Sie auch mal Fehler oder veraltete Infos. Electude wird stetig aktualisiert. Wenn unsere Azubis mal einen Fehler entdecken, geben wir die Info weiter und das wird schnell korrigiert. Früher brauchten wir für eine Testauswertung einen Bogen mit Lösungsstreifen. Überlegen Sie sich, wie lange so etwas bei 150 Azu-bis dauern kann. Nun sind es zwei Mausklicks. So hat man deutlich mehr Zeit, den Azubis etwas zu erklären. Sie sehen auch, wer wie lange für was gebraucht hat oder wenn jemand ein Problem hat – und können gezielt fördern.
Lernen die Azubis besser digital?
F. Kessel: 99 Prozent ja. Unsere Azubis, die in diesem Sommer fertig geworden sind, haben ganze Tage in Electude verbracht und sind auch super durch die Prü-fungen gekommen. Ich hatte bisher einen einzigen Azubi, der sagte: „Ich fand das Papier ganz gut, ich mag das Blättern.“ Das Medium macht Spaß und man lernt besser damit. Das ist, was zählt, auch für die Zukunft. Im Hinblick auf die Elekt-romobilität werden wir in der Zukunft womöglich weniger KFZ-Mechatroniker brauchen – es geht hier deutlich weniger kaputt, der regelmäßige Ölwechsel ent-fällt, es gibt kaum Verschleiß. Das bedeutet aber auch: Die Leute, die wir haben, werden umso qualifizierter sein müssen.